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Übersicht: AktuellesErstellt am: 24.02.2021

2019 hat das HIT-Konsortium aus vier strahlentherapeutischen Referenzzentren, darunter die Klinik für Partikeltherapie am WPE, im HIT-Behandlungsnetzwerk die Arbeit aufgenommen. Jetzt wurde die auf zunächst zwei Jahre angelegte Förderung der Deutschen Kinderkrebsstiftung erneuert. Das HIT-Netzwerk vereint innerhalb der GPOH (Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie) jene onkologischen Behandler und Studien, die sich auf Hirntumoren im Kindesalter konzentrieren. Prof. Dr. med. Beate Timmermann, Direktorin der Klinik für Partikeltherapie, ist Sprecherin des Konsortiums und erläutert, was innerhalb der vergangenen beiden Jahre erreicht werden konnte.

Prof. Timmermann, welche Mitglieder hat das HIT-Konsortium und welche Vorteile ergeben sich für das HIT-Netzwerk?

Das Konsortium, das auf das von Prof. Dr. med. Rolf-Dieter Kortmann (Klinik für Strahlentherapie am UK Leipzig) gegründete HIT-Referenzzentrum Strahlentherapie für Hirntumoren zurückgeht, bündelt die Expertise von vier hauptverantwortlichen strahlentherapeutischen Einrichtungen in Deutschland: der Essener Klinik für Partikeltherapie am WPE, der Klinik für Radioonkologie und Strahlentherapie am UK Heidelberg, der Klinik für Strahlentherapie am UK Dresden sowie der Klinik für Strahlentherapie und Radioonkologie des UK Hamburg-Eppendorf. Mit Essen, Dresden und Heidelberg sind dabei drei der größten Partikel- bzw. Protonentherapiezentren Deutschlands im Konsortium vertreten – was dem HIT-Netzwerk Zugriff auf eine radioonkologische Expertise in modernen Therapietechniken garantiert.

Gibt es eine spezielle Aufteilung der Themenbereiche?

Die Konsortiumsmitglieder arbeiten entitätsspezifisch. Ich betreue beispielsweise die Themen atypische teratoide/rhabdoide Tumoren (AT/RT), Choroidplexustumoren, Ependymome, intrakranielle Keimzelltumoren, Kraniopharyngeome sowie rezidivierte Hirntumoren. Außerdem hat die Klinik für Partikeltherapie 2019 die Hauptverantwortung in der Referenzstrahlentherapie für das Retinoblastom-Register und 2020 für das neue ZNS-REST-Register für seltene embryonale sarkomatöse ZNS-Tumoren übernommen. Drei weitere Diagnosen (Medulloblastome, niedrig- und hochgradige Gliome) werden jeweils in einem der drei anderen Uniklinika des Konsortiums betreut, wobei wir aus Essen auch bei diesen Erkrankungen über die Studienkommissionen eingebunden und dadurch gut informiert sind.

Welchen Aufgaben geht das HIT-Konsortium generell nach?

Neben Therapie-Empfehlungen und der strahlentherapeutischen Fallberatung bzw. Mitbeurteilung bringen wir uns insbesondere in die Entwicklung und Umsetzung von Studien, Registern und Leitlinien zur Bestrahlung verschiedener Tumoren ein. Darüber hinaus widmen wir uns der Aus- und Weiterbildung auf dem Gebiet der pädiatrischen Strahlentherapie. Eines der wichtigsten Themen unserer aktuellen Agenda ist jedoch die strahlentherapeutische Qualitätssicherung (Radiotherapy Quality Assurance, RTQA). Denn immer ausgereiftere Bestrahlungstechniken machen – zum großen Vorteil der Patienten und Patientinnen – zwar einerseits eine immer bessere Eingrenzung des Tumorvolumens und eine bessere Anpassung der Bestrahlungsdosis möglich. Gleichzeitig steigen aber auch die Anforderungen an Strahlentherapeutinnen und -therapeuten bzw.  Medizinphysikexperten, die gemeinsam den jeweiligen Bestrahlungsplan erstellen.

Was genau ist in Sachen Qualitätssicherung erforderlich?

RTQA-Maßnahmen, die über die reine Beratung und Erstellung von Therapieempfehlungen hinausgehen, sind zukünftig unerlässlich. Letztendlich ist die Idee, für alle Patienten eine Art externe Vier-Augenprüfung eines strahlentherapeutischen Behandlungsplans zu etablieren – zur Sicherheit der Patienten. 2019 startete beispielsweise die Studie SIOP Ependymoma II, die von der Essener Referenzstrahlentherapie betreut wird. Hier gehen wir sogar noch einen Schritt weiter. Zusätzlich zur individuellen Planprüfung wurde hier bundesweit erstmalig zusätzlich ein RTQA-Programm vorgeschaltet, das von den Strahlentherapieeinrichtungen durchlaufen werden muss, bevor sie eine Akkreditierung zur Bestrahlung von Studienpatienten erhalten. Dieses Prinzip möchten wir fortsetzen: Derzeit führen wir intensive Gespräche mit den Verantwortlichen der anstehenden Studien SIOP HR-MBL, SIOP ATRT01 und SIOP relapsed Ependymoma über eine studienspezifische Umsetzung der RTQA-Maßnahmen. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang übrigens die Kooperation mit der internationalen RTQA-Plattform „Quality and Excellence in Radiotherapy and Imaging for Children and Adolescents with Cancer across Europe in Clinical Trials“ (QUARTET), in deren Core-Group auch ich vertreten bin.

Welche weiteren Arbeitsziele verfolgt das Konsortium aktuell?

Zusätzlich zu regulären HIT-Studienkommissionstreffen führen wir unabhängige Konferenzen der einzelnen Studiengruppen durch. Auch arbeiten wir daran, dass künftig Entwürfe von Studienprotokollen und Leitlinien frühzeitiger an die Referenzzentren verteilt werden, damit diese ausführlich geprüft und ggf. optimiert werden können. Großes Potenzial für die strahlentherapeutischen Referenzzentren im HIT-Netzwerk bieten darüber hinaus interdisziplinäre virtuelle Tumorboards aller involvierten Experten, in denen komplexe Fälle diskutiert werden können. Diese – oft virtuellen – Boards werden in zunehmendem Umfang für immer mehr Diagnosen umgesetzt. So konnte beispielsweise das Referenzzentrum Essen im letzten Jahr ein Tumorboard mit der HIT-MED Studiengruppe in Hamburg etablieren. Dies ermöglicht nicht nur regelmäßige interdisziplinäre Falldiskussionen, sondern auch einen festen Austausch zur Umsetzung des RTQA-Programms in der SIOP Ependymoma II Studie.

Und dann arbeiten wir auch daran, dass zukünftig möglichst für jede Entität eine interdisziplinäre Leitlinie einschließlich eines detaillierten Radiotherapiekonzeptes vorliegt, die klare Therapierichtlinien definiert. 2020 ist uns das am Essener Referenzzentrum beispielsweise mit einem umfangreichen Strahlentherapieleitfaden für die Kraniopharyngeom-Studiengruppe gelungen, der neben detaillierten Angaben zum Bestrahlungskonzept auch bereits prüfbare RTQA-Parameter enthält. Die Inhalte sollen nun zeitnah in einen interdisziplinären Leitfaden einfließen, deren Veröffentlichung in einem pädiatrisch onkologischen Fachjournal geplant ist. Auch für die HIT-MED Guidance wurden gerade im letzten Jahr die Radiotherapie-Empfehlungen für Medulloblastome, Ependymome und PNETs umfangreich aktualisiert.

Was hat sich am Essener Referenzzentrum in den vergangenen zwei Jahren getan?

Zunächst einmal haben wir uns um den Auf- bzw. Ausbau klinik- und studienspezifischer Strukturen gekümmert; alle Kliniken im Konsortium sollten beispielsweise an den Medical Data and Picture Exchange (MDPE) Server angeschlossen werden. Das war in Sachen IT-Leistung und Datenschutz eine Herausforderung. Die Einbindung neuer Studien – verbunden mit entsprechend hohen Patientinnen- und Patientenzahlen – hatte wiederum Einfluss auf unsere klinikinternen Prozesse. Die entsprechende Anpassung und Ausweitung ist uns dank unseres klinikinternen IT- und Qualitätsmanagements sehr gut gelungen, auch wenn ab Frühjahr 2020 die COVID-19-Pandemie noch einmal eine zusätzliche Herausforderung bedeutet hat, insbesondere im Hinblick auf Personal- und Hygieneanforderungen. Neben den technischen Voraussetzungen sollten aber auch die Anforderung an unser Studienbüro und Referenzzentrum nicht vergessen; auch hier haben wir entsprechend den hohen Anforderungen mittlerweile ein großes und tolles Team, bestehend aus drei Ärzten, sieben wissenschaftlichen Mitarbeitern, fünf Dokumentationsassistenten und vier studentischen Hilfskräften, die sich neben dem Referenzzentrum auch um die anderen Studien und wissenschaftliche Begleitung kümmern.

Welchen Einfluss hatte die Pandemie generell auf die Arbeit des Konsortiums?

Grundsätzlich läuft die Arbeit natürlich genauso weiter. Es gibt keine Abstriche bei der Beratung und Versorgung von Patienten. Hauptsächlich betroffen ist der persönliche Austausch in Kooperationen und Netzwerkprojekten. Das ist sehr schade, weil die persönliche Interaktion in unserer „Expertenfamilie“ einfach unersetzlich ist, und gegenseitiges Vertrauen ein wichtiger Baustein der Zusammenarbeit ist. Nicht alles davon ist digital genauso zu erreichen. Irgendwie sind unsere Webkonferenzen nur eine „reduzierter Form“ unserer früher üblichen Zusammenkünfte. Dennoch erfordert gerade die Pandemie ein geeintes Vorgehen der pädiatrischen Radioonkologen auf internationaler Ebene. So wurden beispielsweise in kürzester Zeit Empfehlungen durch die SIOP Radiotherapie Arbeitsgruppe erarbeitet und publiziert, die dabei helfen sollen, auch bei geminderter Personalkapazität und unter Reduzierung von Aufenthaltszeiten in Strahlentherapieeinrichtungen eine sichere und effektive Bestrahlung für pädiatrische Patienten umsetzen zu können. Das Essener Referenzzentrum hat dabei insbesondere die Empfehlungen für die Diagnosegruppe der AT/RTs ausgearbeitet.

Spannend war auch die Durchführung von „Online-Schulungen“, die wir beispielsweise für unsere österreichischen Kollegen angeboten haben. Hierbei zahlt sich die zunehmende Digitalisierung unsere Prozesse aus, denn wir betreuen für die Ependymome beispielweise auch Österreich und Schweiz. Es wäre sicherlich für uns nicht mehr machbar, da überall herum zu touren, um einheitlich die hohe Qualität der Therapie sicherzustellen. Wir bemerken auch, dass wir manchmal digital mehr Kollegen erreichen, als früher bei persönlichen Meetings, weil der Aufwand für eine Teilnahme einfach niedriger ist.

In welchen Fällen war die Referenzleistung aus Essen in den vergangenen zwei Jahren besonders gefragt?

Knapp 30 Prozent unserer Referenzleistungen entfielen auf die Gruppe der Ependymome. Das waren über 80 unterschiedlichste Therapieempfehlungen. Obgleich die Zahl an Neuerkrankungen dieser Entität im Vergleich zu anderen Hirntumoren eher gering ist, spiegelt der hohe Anteil an den Gesamtleistungen den großen Aufwand wider, der für die Aufrechterhaltung eines umfassenden RTQA-Systems in der pädiatrischen Radioonkologie erbracht werden muss. Mit Blick auf die Fallzahlen folgen dann die Studiengruppen HIT-REZ für alle rezidivierten Hirntumoren (21 Prozent) sowie das Kraniopharyngeom Register 2019 (16 Prozent). Auch hier ist zukünftig ein gemeinsames Tumorboard geplant.

Zusammen mit Leipzig haben wir außerdem einen Leitfaden entworfen, um bei der Umsetzung eines verpflichtenden Qualitätssicherungsprogramms praktische Hilfestellungen zu geben. Die Pilotierungsphase des RTQA-Programms startete bereits im November 2018 und wurde im März 2019 auf alle deutschen Kliniken ausgeweitet. 2019 hat die Klinik für Partikeltherapie am WPE dann auch die Referenzstrahlentherapie für Ependymome in der Schweiz und in Österreich übernommen. Aktuell haben sieben deutsche und zwei österreichische Kliniken das Programm erfolgreich abgeschlossen. Elf deutsche sowie eine schweizerische und zwei österreichische Kliniken befinden sich aktuell im Akkreditierungsprozess.

Man sollte hier auch noch erwähnen, dass wir in Essen neben den Hirntumoren auch viele weitere Diagnosen betreuen, die ebenfalls entsprechendes Engagement erfordern, darunter Weichteil- und Knochentumoren oder Neuroblastome. Über alle Diagnosen beraten wir jährlich mehr als 500 Fälle aus Deutschland, Österreich, Schweiz und weiteren, anderen Ländern.

Gibt es darüber hinaus Entwicklungen, die Ihnen besonders am Herzen liegen?

Wir haben am WPE einen Schwerpunkt rund um das Thema „Psychosoziale Betreuung von pädiatrischen Patienten und deren Angehörigen“ ins Leben gerufen. Dies umfasst sowohl Vortragsreihen als auch Kooperationsaktivitäten mit wichtigen Akteurinnen und Akteuren wie etwa der Psychosozialen Arbeitsgemeinschaft in der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie (PSAPOH), dem Deutschen Kinderschutzbund oder regionalen Elterninitiativen zur Unterstützung krebskranker Kinder. Hieraus sind mittlerweile zwei innovative Projekte hervorgegangen – das Oncomfort-Projekt zur Vermeidung von Angst- und Stresszuständen der Patienten mittels Virtual Reality-Brille und das Projekt „Robotik und künstliche Intelligenz angewandt auf psychologische Aspekte der Protonentherapie bei Kindern“. Die hieraus gewonnenen Erfahrungen können im Rahmen einer multizentrischen Ausweitung zukünftig auch studienspezifisch im HIT-Netzwerk etabliert werden. Alles in allem hat sich also sehr viel getan in den vergangenen zwei Jahren – und das auf unterschiedlichen Ebenen. Umso mehr freut es mich, dass die Deutsche Kinderkrebsstiftung die Förderung des Konsortiums um weitere zwei Jahre verlängert hat und wir weiter daran arbeiten können, die Therapie von jungen Patientinnen und Patienten mit ZNS-Tumoren systematisch zu optimieren. Ohne die Unterstützung der Kinderkrebsstiftung wäre diese Intensität der Begleitung von Kindern mir Hirntumoren durch das Expertennetzwerk niemals möglich gewesen.

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Die ärztliche Leiterin des WPE, Prof. Dr. med. Beate Timmermann, zählt zu den führenden Expertinnen in der pädiatrischen Strahlentherapie und ist sowohl auf nationaler als auch internationaler Ebene eng mit der pädiatrisch-onkologischen Studienlandschaft vernetzt. Prof. Timmermann ist unter anderem als Referenzstrahlentherapeutin in verschiedenen GPOH-Studienkommissionen aktiv, leitet das Beratungszentrum für Partikeltherapie in der pädiatrischen Onkologie und ist aktives Mitglied der Arbeitsgemeinschaft für pädiatrische Radioonkologie (APRO), der International Society of Paediatric Oncology (SIOP) sowie der Paediatric Radiation Oncology Society (PROS). Sie ist Sprecherin für das HIT-Konsortium.
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