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Übersicht: AktuellesErstellt am: 30.01.2019

Dr. Lorenzo Brualla y Barberà ist seit 2012 Privatdozent an der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen und seit Sommer 2018 wissenschaftlicher Mitarbeiter am WPE. Sein Schwerpunkt: die experimentelle Radioonkologie. Der Physiker wendet die so genannte „Monte-Carlo“-Methode an, um die Qualität der Behandlungen am WPE weiter zu optimieren. Ein Teil seiner Arbeit beschäftigt sich mit der neuen Protonen-Augenlinie.

Dr. Brualla, mit der Monte-Carlo-Methode werden insbesondere in der Physik Probleme statistisch simuliert. Wie muss man sich das genau vorstellen?
Albert Einstein schrieb einmal an Max Born, dass Gott nicht mit dem Universum würfelt. Aber er tut es eben doch, wenn wir einmal im Bild bleiben wollen. Einstein äußerte damals Kritik an der von Born, Schrödinger, Heisenberg und anderen entwickelten Quantentheorie zur Beschreibung der Natur auf der Ebene der subatomaren Partikel. Heute wissen wir: Der Quantencharakter physikalischer Gesetze impliziert, dass Quantenmessungen an sich unvorhersehbar sind. Das heißt: In der Quantenmechanik werden die Wechselwirkungen zwischen subatomaren Teilchen durch Wahrscheinlichkeiten und nicht durch deterministische Formeln beschrieben.

Und was ist nun genau unter der Monte-Carlo-Methode zu verstehen?
Die unter anderem von Stanislav Ulam, John von Neumann und Nicholas Metropolis entwickelte Monte-Carlo-Methode erfasst die Prinzipien der Quantenmechanik. Sie ermöglicht die Simulation von Wechselwirkungen zwischen Strahlung und Materie, indem sie Wahrscheinlichkeiten einführt und Zufallszahlen verwendet, mit Würfeln spielt. Über die Methode lassen sich also physikalischer Größen vorhersagen.

Aber ist das nicht ein Widerspruch? Sie sagten, das Ergebnis einer Quantenmessung an sich sei unvorhersehbar.
Nein. Wenn Sie eine Münze werfen, kann ich nicht vorhersagen, ob das Ergebnis Kopf oder Zahl sein wird. Wenn Sie jedoch eine Münze eine Million Mal werfen, kann ich Ihnen sagen, dass die Zahl der Köpfe sehr nahe an einer halben Million liegen wird. So funktioniert die Monte-Carlo-Methode. Eine bestimmte Wechselwirkung, sagen wir, ein hochenergetisches Proton, das mit menschlichem Weichgewebe interagiert, wird im Computer millionenfach simuliert. Jedes Mal wird das Ergebnis aufgezeichnet und über alle Ergebnisse hinweg wird ein Mittelwert gebildet. Auf diese Weise ist es möglich, Größen wie die im menschlichen Gewebe deponierte Energie oder die Reichweite der Strahlung im Patienten zu schätzen.

Welche Vorteile birgt die Monte-Carlo-Simulation also für die Strahlentherapie?
Die von uns verwendeten Techniken ermöglichen es, virtuelle Experimente in der Sicherheit eines Computers durchzuführen, um auf diese Weise die am besten geeignete Behandlung zu bestimmen, bevor der Patient tatsächlich dann behandelt wird. Eine alltägliche Anwendung der Monte-Carlo-Methode zur Simulation des Strahlungstransports in Materialien ist beispielsweise die bestmögliche Vorhersage der Dosis, die einem Patienten unter einer bestimmten Konfiguration des für die Bestrahlung verwendeten Gerätes verabreicht wird. Wenn die vorhergesagte Dosis die Anforderungen des Strahlentherapeuten erfüllt, wird die Behandlung durchgeführt, ansonsten wird eine neue Konfiguration vorgeschlagen.

Das klingt so, als wäre Ihre Arbeit im Allgemeinen eher theoretisch und weniger patientenbezogen. Was genau ist Ihre Aufgabe am WPE?
Am WPE verfügen wir über ein hervorragendes Team an Fachleuten, von denen viele sowohl aus medizinischer als auch aus physikalischer Sicht direkt in der Patientenversorgung tätig sind. Unsere Ärzte und Mediziner kümmern sich nicht nur um die Routineverfahren einer solchen Einrichtung, sondern betreiben auch qualitativ hochwertige Forschung. Meine Arbeit am WPE ist in den meisten Fällen nicht patientenbezogen, obwohl die Ergebnisse meiner Forschung auf die Patientenbehandlung übertragen werden und so die Arbeit meiner Kollegen unterstützen. Diese Synergie zwischen Grundlagenforschung und Weiterentwicklung der Patientenbehandlung entsteht zum Teil aber auch durch die Weitsicht unserer Direktorin, Prof. Dr. med. Beate Timmermann, die ein bemerkenswertes Team von hochmotivierten und sachkundigen Personen zusammengestellt hat.

In welchen Forschungsprojekten sind Sie derzeit konkret tätig?
Ein wichtiges Anliegen in der Strahlentherapie ist es, die Dosis für normales Gewebe während der Bestrahlung von Tumorzellen zu reduzieren. Dabei werden die eingesetzten Strahlungsfelder mit der Zeit immer kleiner und damit auch verträglicher. Je kleiner aber das Feld, desto größer sind die Schwierigkeiten und Unsicherheiten, die mit Dosismessungen verbunden sind. In diesem Zusammenhang beteiligen wir uns an einer von der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) organisierten Kooperation zur Definition eines neuen Protokolls für die Kleinfelddosimetrie. Dafür berechnen wir Qualitätsfaktoren für mehrere Detektoren zur Dosismessung in kleinen Strahlungsfeldern. In einem weiteren IAEO-Forschungsprojekt erarbeiten wir Charakteristika für einen neuen Detektor, der von der IAEO und der Weltgesundheitsorganisation weltweit für Dosimetrie-Audits in Strahlentherapieeinrichtungen eingesetzt werden soll. Bei diesen Projekten kommt eine von uns entwickelte Software zur Berechnung von Dosisverteilungen in der Strahlentherapie nach der Monte-Carlo-Methode zum Einsatz: „PRIMO“ wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert und kann die konventionelle Strahlentherapie, d. h. Behandlungen mit Photonen- und Elektronenstrahlen, simulieren. Hier arbeiten wir aktuell an einer Erweiterung, um künftig auch Protonenstrahlen simulieren zu können.

Gibt es darüber hinaus Forschungsaufträge?
In den kommenden Monaten wird das WPE seine Protonen-Augenlinie eröffnen und damit dann den ersten Patienten behandeln. Die Protonenbestrahlung bietet dann für okuläre Malignome eine Alternativ zu der Behandlung mit Ruthenium-Applikatoren, also radioaktiven Emittern. Unsere Arbeit in dieser Hinsicht ist zweigeteilt. Auf der einen Seite arbeiten wir an der genauen Charakterisierung der Ruthenium-Applikatoren und der Bestimmung der dem Tumor zugeführten Dosis und der empfindlichen Strukturen des Auges. Dies ist eine Arbeit, die vor einigen Jahren in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. med. Wolfgang Sauerwein initiiert wurde. Auf der anderen Seite beteiligen wir uns am Prozess der Vorbereitung der Protonen-Augenlinie. Unser Ziel ist es, den Ärzten die genauesten Dosisverteilungen zur Verfügung zu stellen, die mit beiden Behandlungen erzielt werden können, um sie so bei der Entscheidung für eine der beiden Optionen zu unterstützen.

Außerdem starten wir eine Forschungsarbeit, die sich an Neuroblastompatienten richtet. Bei der Bestrahlung eines Neuroblastoms müssen teilweise Techniken verwendet werden, die Rückenmark oder die Nieren belasten können. Unser Ziel ist es, die Behandlung weiter zu präzisieren, indem wir sie täglich an die Geometrie des Patienten anpassen. Man darf nicht vergessen, dass das Neuroblastom ein Krebs im frühen Kindesalter ist und somit die Grenzwerte für die akzeptable bildgebende Dosis besonders streng sind.

Als Privatdozent an der Medizinischen Fakultät Essen haben Sie auch Lehrverpflichtungen. Gibt es auch hier thematische Beziehungen zu Ihrer Arbeit am WPE?
Aktuell habe ich vier Doktoranden an der Medizinischen Fakultät Essen. Einer davon arbeitet an der Monte-Carlo-Simulation von Protonenstrahlen. Ein weiterer untersucht Ruthenium-Applikatoren. Die Promotions-themen der beiden anderen befassen sich mit Anwendungen der Informatik in der theoretischen Medizin. Darüber hinaus leite ich für Medizinstudierende ein einführendes Wahlfach über Robotik. Ein Teil des Kurses basiert auf einem Robotik-Lego-System. Wir „spielen“ also nicht nur mit Würfeln, sondern auch mit Lego.