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Übersicht: AktuellesErstellt am: 24.02.2021

Die Therapie von Kopf-Hals- und Schädelbasistumoren ist hochkomplex: Die Tumoren liegen häufig nah an kritischen Regionen wie Hirnstamm, Hypophyse oder Sehnerv; operative Eingriffe wiederum bergen das Risiko schwerer Funktionsstörungen. Erforderlich sind daher in der Regel multidisziplinäre Behandlungsstrategien, die radiotherapeutische Maßnahmen miteinschließen. Erste Studien attestieren der Protonentherapie (PT) mit Blick auf die Schonung von Risikoorganen deutliche Vorteile gegenüber der konventionellen Bestrahlung mit Photonen, insbesondere dann, wenn hohe Dosen erforderlich sind. Bei zahlreichen Indikationen kommt die PT mittlerweile daher regelmäßig zum Einsatz. Um ihre therapeutischen Möglichkeiten in voller Gänze auszuloten, sind weitere klinische Studien jedoch unumgänglich.

 Bereits die Ausgangssituation ist alles andere als „einfach“: Gerade im Schädelbasisbereich sammeln sich zahlreiche Risikoorgane, die von den mit einer Strahlentherapie verbundenen Risiken besonders in Mitleidenschaft gezogen werden könnten. Dazu zählen neben den Schleimhäuten unter Umständen die Augen mit Netzhaut, Sehnerven und Tränendrüsen, das Innenohr, der Hör- und Gleichgewichtsnerv, Speicheldrüsen sowie vor allem Hirnanhangsdrüse, Hirnstamm, der Temporallappen oder das Rückenmark. „Der Schädelbasisbereich ist insgesamt eine hochsensible Region“, sagt Prof. Dr. Beate Timmermann, Direktorin der Klinik für Partikeltherapie am WPE. „Und gerade deshalb ist die Protonentherapie bei der Behandlung von Kopf-Hals- und Schädelbasistumoren so enorm vielversprechend. Denn durch den für die PT typischen steilen Dosisabfall – also des Abfalls der Strahlung bzw. Strahlenergie zur Umgebung – können sensible Risikoorgane deutlich besser geschont werden, als dies etwa bei einer konventionellen Strahlentherapie mit Photonen möglich wäre. Konkret wird bei einer PT die Strahlenbelastung des umliegenden Gewebes um den Faktor zwei bis drei reduziert. Der sichere Nachweis dieser dosimetrischen Vorteile für klinisch relevante Ergebnisse ist allerdings für einige Tumor-Arten noch ausstehend. “


Wie funktioniert die Bestrahlung mit Protonen?
Im Unterschied zur konventionellen Bestrahlung mit Photonen erfolgt die PT mit geladenen Wasserstoffionen, die auf etwa 200.000 km/s beschleunigt werden. Die PT ermöglicht auf Grund der physikalischen Eigenschaften der Protonen eine hochpräzise und gut steuerbare Dosisabgabe, die die Verstreuung von mittleren und niedrigen Dosen im umgebenden Gewebe deutlich verringert. Die überlegene Dosisverteilung der Protonen basiert auf ihrem steilen Dosisabfall, der die maximale Dosisabgabe am Zielort in Abhängigkeit von der gewählten Energie („Bragg Peak“) ermöglicht und die Austrittdosen nahezu vollständig vermeidet.

Vergleich der Freisetzung von Strahlenenergie bei Photonen und Protonen in unterschiedlicher Eindringtiefe in den Körper:

Wirkung der Protonentherapie

Bei der Behandlung von Chordomen und Chondrosarkomen der Schädelbasis zählt die PT bereits zum etablierten, klinisch erwiesenen Standard. Auch bei anderen seltenen Tumoren wie Nasopharynkarzinomen und Nasen- und Nasennebenhöhlentumoren findet die Bestrahlung mit Protonen regelmäßig Anwendung. Prof. Timmermann: „Bei Chordomen und Chondrosarkomen, die wegen ihrer Nähe zur Schädelbasis oder zum Kreuzbein häufig nicht vollständig oder auch gar nicht entfernt werden können, kommt die Strahlentherapie alleine oder postoperativ zum Einsatz. Zur Tumorkontrolle sind sehr hohe Dosen von bis zu 74 Gy notwendig, was ganz präzise Strahlentherapietechniken voraussetzt, um keine Verletzungen der Organe zu verursachen. Dabei zeigt die PT aufgrund der überlegenen Schonung der umgebenden kritischen Strukturen wie Hirnstamm, Sehnerven und Rückenmark ihren Vorteil. Tatsächlich sind die bisherigen klinischen Ergebnisse für diese Tumorarten hervorragend. Eine Chordom-Untersuchung mit 106 Patientinnen und Patienten beispielsweise belegt bei guter Lokalkontrolle und Gesamtüberleben insgesamt nur geringe Nebenwirkungen; 93 Prozent der Beteiligten waren nach fünf Jahren frei von hochgradigen Nebenwirkungen.“

Ähnlich überzeugend sind auch die bisherigen Ergebnisse im Hinblick auf die Behandlung von Nasen- und Nasennebenhöhlentumoren und Nasopharynkarzinomen. Gerade bei Letzteren ist die Bestrahlung aufgrund der Nähe zu Speicheldrüsen sowie Hör- und Sehstrukturen hochkomplex und kann in der Folge zu Mundtrockenheit, Schluckstörungen, aber auch zu Beeinträchtigungen des Hör- und Sehvermögens führen. „Zwar ist die intensitätsmodulierte Radiotherapie gegenwärtig meist noch das Mittel der Wahl, doch die PT gewinnt auch hier aufgrund ihrer dosimetrischen Vorteile zusehends an Bedeutung.“ So haben beispielsweise vergleichende Untersuchungen der mittleren Dosen an 15 von 29 überprüften Risikoorganen tatsächlich signifikante Unterschiede zwischen der Bestrahlung mit Protonen gegenüber einer Therapie mit Photonen aufgezeigt; an 13 ließen sich klare Vorteile der intensitätsmodulierten Protonentherapie belegen, so beispielweise bei Strukturen im Gehirn, dem Rückenmark, Hör- und Sehstrukturen, Zunge, Speiseröhre und auch Kehlkopf.

„Auch die klinischen Ergebnisse für Hirntumore, Rhabdomyosarkome oder Ewing-Sarkome in Schädelbasisnähe sind vielversprechend und bestätigen die wachsende Bedeutung der PT als schonende Alternative zur konventionellen Strahlentherapie. Dennoch sind weitere Studien unbedingt notwendig, sowohl zur Bewertung von etwaigen Langzeitnebenwirkungen als auch zum Verständnis von weiteren Einsatzbereichen der Protonentherapie. Die Rolle der PT für Tumoren des Rachens und Kehlkopfs beispielsweise ist bisher nicht bzw. kaum erfasst. Und auch die klinischen Erfahrungen in puncto Re-Bestrahlung mit Protonen beschränken sich aktuell noch auf wenige Untersuchungen. Gerade hier böten sich vor dem Hintergrund durchweg guter Ergebnisse aber durchaus wichtige Chancen, um die Dosisbelastung der benachbarten Organe im Rezidivfall möglichst gering zu halten.“

Als hilfreich bei der Findung einer jeweils optimalen Bestrahlungsmodalität könnte sich zukünftig unter Umständen zudem ein Verfahren erweisen, das bereits in den Niederlanden praktiziert wird; der „model-based-approach“. Prof. Timmermann: „Grundlage des Modells ist die Berechnung der Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Nebenwirkungen, die so genannte NTCP (normal tissue complication probability). Bei der Berechnung der NTCP wird die applizierte Dosis in den relevanten Risikoorganen berücksichtigt.“ Sobald die Berechnungen für den Protonenplan eine deutlich niedrigere Nebenwirkungswahrscheinlichkeit ergeben als die für den Photonenplan, wird auch eine PT durchgeführt. „Ob und in welcher Form diese Herangehensweise neben der Durchführung klinischer Studien auch in Deutschland Anwendung findet, bleibt jedoch abzuwarten.“

Grundsätzlich, so das Fazit der Klinikdirektorin, „kann bei allen fortgeschrittenen Kopf-Hals-Tumoren, bei denen eine Indikation zur Strahlentherapie besteht, die Protonentherapie alternativ zur konventionellen Bestrahlung eingesetzt werden“.

Informationen zur Protonentherapie von Kopf-Hals-Tumoren haben wir hier für Sie zusammengestellt. Informationen zur Protonentherapie von Schädelbasistumoren finden Sie hier. Zudem sind wir sowohl Teil des Kopf-Hals-Tumor-Zentrums des Westdeutschen Tumorzentrums (WTZ), als des für Schädelbasistumoren zuständige Sarkomzentrum.