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Übersicht: AktuellesErstellt am: 23.09.2019

Krebs bedeutet immer einen gravierenden Einschnitt. Im eigenen Leben und im Umgang mit Familie und Angehörigen. Viele Betroffene benötigen neben der rein onkologischen Versorgung deshalb auch gezielte Unterstützung bei der grundsätzlichen Verarbeitung ihrer Erkrankung. Eine Herausforderung, die die Klinik für Partikeltherapie am WPE seit Sommer dieses Jahres auch mit digitalen Mitteln angeht: Über das „Elektronische Psychoonkologische Screening von Tumorpatienten“, kurz: ePOS, sollen frühzeitig jene Patientinnen und Patienten identifiziert werden, die Hilfe bei der Bewältigung psychosozialer Belastungen benötigen. In der Regel sei das, sagt Nico Sterr vom Psychosozialen Dienst des WPE, etwa bei einem Drittel aller Krebserkrankten der Fall.

Körperliche Beschwerden oder auch Nebenwirkungen, die im Rahmen einer Krebstherapie auftreten, sind für Außenstehende meist deutlich offensichtlicher als die seelische Verfassung eines Patienten. Und genau hier setzt ePOS an: „Über Selbsteinschätzungen, also das Abfragen der subjektiven Sichtweise der Betroffenen, erhalten wir neben Angaben zur Erkrankung und dem körperlichen Befinden auch aktuelle Hinweise zu Aspekten wie Angst, Lebensqualität oder Depressivität.“ Angesprochen wird beispielsweise, ob es unabhängig von der Erkrankung weitere Belastungsfaktoren gibt, ob Bezugspersonen vorhanden sind oder ob sich die Patienten gut über den Behandlungsablauf informiert fühlen. Das Besondere an ePOS: Die einfach strukturierten Fragebögen werden elektronisch per Tablet ausgefüllt – was für Patienten wie Mitarbeitende gleichermaßen Vorteile hat.

Psychologe Nico Sterr: „Wenn bestimmte Schwellenwerte überschritten werden, meldet das Screening dies. Wir sichten dann die Ergebnisse und bieten den Patienten unterschiedliche Hilfestellungen an, etwa ein ausführliches Erstgespräch.“ Eine Nutzung der Angebote ist ausnahmslos freiwillig. „Wer keine psychoonkologische Behandlung wünscht, wird dazu auch nicht gedrängt, selbst bei hohen Indikationswerten. Hier klären wir allenfalls kurz über die Möglichkeiten auf.“ Und auch „andersherum“ bleiben die Optionen offen: „Wenn jemand subjektiv angibt, dass er Bedarf hat, die Screeningwerte dies jedoch eigentlich nicht widerspiegeln, führen wir natürlich auch hier Gespräche, um gemeinsam ein differenziertes Beratungsangebot zu finden.“ Eingebunden werden können dann zum Beispiel auch die Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, die Sozialberatung oder die Klinikseelsorge.


 ePOS wurde von Prof. Dr. med. Martin Teufel, Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am LVR-Klinikum Essen, initiiert und gemeinsam mit dem Institut für PatientenErleben an der Universitätsmedizin Essen (UME) eingeführt. Die Klinik für Psychosomatische Medizin stellt den Psychoonkologischen Dienst (Leitung Dr. Mingo Beckmann) für die stationären und ambulanten Bereiche der UME. Das Institut für PatientenErleben – einzig in seiner Art in Deutschland – gestaltet seit Herbst 2017 die digitale Transformation an der Universitätsmedizin Essen mit und unterstützt Kliniken und Abteilungen unter anderem bei patienten- und mitarbeiterorientierten Projekten. In der Klinik für Partikeltherapie am WPE, die über einen eigenen Psychosozialen Dienst verfügt, ist ePOS seit Juli 2019 im Einsatz.

Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
Institut für PatientenErleben


Die Vorteile von ePOS für das Personal sind ebenfalls evident: Zum einen entfällt durch die Umstellung von analogen Papierbögen auf ein IT-basiertes Screening die zeitintensive und fehleranfällige Übertragung der Daten. Zum anderen erfolgt eine erste Auswertung des Screenings bereits direkt im System – das garantiert Objektivität und geht schneller, so dass Unterstützungsleistungen frühzeitiger anlaufen können. Sterr: „Wir bringen das Screening deshalb schon zu Beginn der Therapie in den Prozess ein, so haben wir mehr Zeit für die jeweiligen Maßnahmen.“ Dennoch – und das betont auch der Psychologe noch einmal ausdrücklich – bleibt nicht allein „der Maschine“ die Entscheidung überlassen, wer Hilfe benötigt und wer nicht: „Maßgeblich ist immer noch der Mensch; und wir entscheiden individuell.“

Das Projekt, das in Kooperation mit dem LVR-Klinikum und dem Institut für PatientenErleben umgesetzt wird, legt zudem auch in technischer Hinsicht Wert auf eine patientenorientierte Umsetzung. Monja Gerigk, Leiterin des Instituts für PatientenErleben: „Wir haben im Vorfeld Patienten im persönlichen Gespräch befragt, wie gut und sicher sie sich im Handling mit dem Tablet fühlen. Darüberhinaus haben wir die Teilnehmer auch bei der Handhabung beobachtet. Wenn es gewünscht ist, kommt eine Mitarbeiterin des Instituts hinzu und unterstützt in der Einführungsphase das Team und die Patienten beim Handling. Durch diesen persönlichen Kontakt bekommen erfahren wir sehr zügig, wie hoch die Akzeptanz des Screenings ist.“ Optimierungen lassen sich so kurzfristig und im laufenden Betrieb umsetzen. „Wir hatten beispielsweise die Rückmeldung, dass es für einige Menschen einfacher ist, mit einem Eingabestift die Befragungsfelder zu berühren, anstatt mit dem Zeigefinger. Wir haben dann entsprechende Stifte zur Verfügung gestellt, die nun bei Bedarf genutzt werden können.“

Grundsätzliches Ziel des Institutes ist es, den Patienten mit seinem Empfinden bei allen Maßnahmen ins Zentrum zu stellen. Gerigk: „Wir entwickeln gemeinsam Lösungen, fragen vorher Erwartungen und Wünsche ab, probieren es aus und klären dann im persönlichen Gespräch mit allen Beteiligten, wo es noch Entwicklungsbedarf gibt.“ Gerade dem digitalen Aspekt bei ePOS gewinnt die Institutsleiterin dabei einige Vorteile ab: „Die Texte sind gut leserlich und können bei Bedarf vergrößert werden; die Patienten werden systematisch durch die Fragen geführt und haben nicht unzählige Papierseiten in der Hand, die durcheinandergeraten. Zudem sind Verwechslungen der Befragungsergebnisse ausgeschlossen, da der Befund automatisiert in die jeweilige Patientenakte gelangt.“

Bislang richtet sich das Screening nur an deutschsprachige, erwachsene Patientinnen und Patienten ab 18 Jahren. Nico Sterr: „Bei jüngeren Patienten und Kindern ist unser Psychosozialer Dienst ohnehin von Beginn an anders und ebenfalls sehr intensiv eingebunden, etwa um die Therapieabläufe kind- und jugendgerecht zu erklären. In der Regel gibt es in diesen Fällen eine sehr hohe Quote, was den Bedarf an unterstützenden Leistungen angeht. Deshalb sind wir während der gesamten Therapie bei Kindern oftmals sehr präsent.“ Bei den Kindern kommt es häufig auch bei den Familienmitgliedern zu Belastungssituationen; die jeweilige Familie wird durch ePOS aber nicht eigenständig erfasst. „Das Screening richtet sich aber direkt an Betroffene, weswegen wir für das familiäre Umfeld andere Wege finden müssen.“ Daher ist es wichtig, in diesen Fällen für Angehörigen im WPE andere Screening-Instrumente zu nutzen und weitergehende Unterstützung anbieten zu können. „Hier“, resümiert Sterr, „achten wir im regelmäßigen Umgang bewusst auf Anzeichen, die darauf hindeuten, dass Hilfe benötigt wird, und suchen dann das unmittelbare Gespräch“.