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Übersicht: AktuellesErstellt am: 13.10.2016

Die Strahlentherapie ist ein wichtiger Baustein in der interdisziplinären Versorgung von Tumoren des zentralen Nervensystems (ZNS) und anderen Tumoren im Kopf- und Hals-Bereich. Eine Bestrahlung des Kopfes kann in Abhängigkeit von der Strahlendosis zu einer Schädigung der hypothalamo-hypophysären Funktion führen. Die mögliche Folge: hormonelle Erkrankungen mit teils gravierenden Folgen. Den genauen Zusammenhängen gehen zwei kooperative Forschungsprojekte am WPE auf den Grund.

Dass eine Krebstherapie auch Auswirkungen auf den Hormonhaushalt eines Patienten oder einer Patientin haben kann, hat bislang in der Praxis eher wenig Beachtung gefunden. Es ist jedoch, insbesondere im Hinblick auf die Lebensqualität der Betroffenen ein nicht zu unterschätzendes Problem. Tatsache ist: Bei 66 Prozent der erwachsenen Patienten mit kranialen Tumoren liegt Monate bis Jahre nach einer Radiotherapie eine Hypophyseninsuffizienz (Insuffizienz der Hirnanhangdrüse) vor. Bei erwachsenen Patienten sind Störungen der Stoffwechselregulation mit Veränderung der Körperkomposition und Störungen der Sexualhormonachse die Folge. Bei Kindern sind unter Umständen auch Wachstum und Entwicklung betroffen.

Im Rahmen zweier Studien, die in Kooperation mit der Kinderklinik II, Pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie, sowie der Klinik für Endokrinologie und Stoffwechselerkrankungen am UK Essen erfolgen, untersucht die Klinik für Partikeltherapie am WPE derzeit die genauen Zusammenhänge bei Kindern und Erwachsenen.

„Funktionsverluste und Hormonstörungen können auch noch Jahre nach einer Strahlentherapie auftreten, sind aber grundsätzlich gut behandelbar“, sagt Dr. med. Solveig Schulz, Oberärztin und Fachärztin für Strahlentherapie am WPE. Während das sehr sorgfältig strukturierte pädiatrische Nachsorgeprogramm jedoch „engmaschige, regelmäßige Kontrollen endokrinologischer Parameter“ vorsieht, ist bei Erwachsenen ein vergleichbares, routinemäßiges endokrines Nachsorgeprogramm bislang nicht die Regel. Doch auch hier wäre aus Sicht der Experten am WPE eine labortechnische Begleitung der betroffenen Patientinnen und Patienten über einen langen Zeitraum prinzipiell ratsam.

Ziel der aktuell beantragten Studie ist es daher, über einen Zeitraum von fünf bis zehn Jahren nach einer Protonenbestrahlung im Bereich des Kopfes mögliche Auswirkungen auf die hormonellen Funktionen der Patienten frühzeitig zu erkennen. Dabei soll auch geklärt werden, ob nach einer Protonentherapie solche Folgen seltener auftreten als mit anderen Methoden bzw. ab welcher Dosisbelastung der Hirnanhangdrüse im Rahmen einer Strahlentherapie es mit welcher Wahrscheinlichkeit zu welchen Hormonstörungen kommen kann. Dr. Schulz: „Unser Ziel ist es, auch bei erwachsenen Krebs-Patientinnen und -Patienten etwaige hormonelle Veränderungen künftig frühzeitig zu registrieren, um unmittelbar eingreifen zu können – etwa mit Hormonsubstitutionen. Aus diesem Grund werden die endokrine Funktion von Hypothalamus und Hypophyse sowohl vor als auch nach der Protonentherapie über die jeweiligen Blutwerte bestimmt, zunächst im halbjährlichen Rhythmus, dann im Abstand von jeweils einem Jahr.“

Grundsätzlich gilt: Aufgrund ihrer charakteristischen physikalischen Eigenschaften kann mit der Protonentherapie der Tumor zielgenau bestrahlt und gleichzeitig die Dosis im umliegenden gesunden Gewebe reduziert werden. Kritisch benachbarte Strukturen, wie etwa die Hypophyse und der Hypothalamus, können bei manchen Patienten besser geschont werden und damit das Risiko strahleninduzierter Folgen minimieren. Dass auf diese Weise endokrine Funktionen bei einzelnen Patienten besser erhalten bleiben, scheint wahrscheinlich. Diese Annahme bestätigen dosimetrische Vergleiche zwischen Intensitätsmodulierter Radiotherapie (IMRT) und Protonentherapie bei der Behandlung von Tumoren des zentralen Nervensystems (ZNS), konnten diese doch bei einer Protonentherapie verglichen mit einer IMRT eine vergleichbare Zielgebietsabdeckung bei gleichzeitiger Reduzierung der Integraldosis im umliegenden Gewebe feststellen.

Dr. med. Solveig C. Schulz

Dr. med. Solveig C. Schulz ist Oberärztin und Fachärztin für Strahlentherapie am WPE mit Fachkunde Partikeltherapie.
Sie studierte Medizin in Gießen, Albuquerque (USA) und Toronto (Kanada). Frau Dr. Schulz ist Mitglied verschiedener nationaler und internationaler Fachgesellschaften, wie der  Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO), der European Society for Radiotherapy & Oncology (ESTRO) oder der European Society for Medical Oncology (ESMO). 2014 erwarb Frau Dr. Schulz das ESMO-Zertifikat, welches Onkologen Exzellenz auf dem Gebiet der medizinischen Onkologie bescheinigt. Ihr spezieller Arbeits- und Forschungsschwerpunkt liegt im Bereich von Gehirntumoren im Erwachsenen- und Kindesalter, sowie auf den Gebieten der Lymphome und Sarkome. Ihr besonderes Anliegen ist eine gute interdisziplinäre Zusammenarbeit verschiedener onkologischer Fachgruppen. So ist sie beispielsweise Mitglied im Arbeitskreis „ZNS Malignome“ der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO).