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Übersicht: Erstellt am: 27.01.2020

Die gleiche Effizienz, aber weniger Belastung: Gegenüber anderen radioonkologischen Methoden hat die Protonentherapie einige entscheidende Vorteile, allen voran ihre Zielgenauigkeit. Zugleich stellt genau diese Zielgenauigkeit Technik und Physik vor sehr hohe Anforderungen. Für seine Habilitation forschte PD Dr. rer. nat. Christian Bäumer, Medizinphysik-Experte am WPE, deshalb zur Optimierung der Dosisverteilung in der Protonentherapie. Sein Ziel: Die Technik des so genannten Nadelstrahlverfahrens (Pencil Beam Scanning/PBS) zu verbessern. Im Interview erläutert er die Hintergründe und die Vorteile für die Patienten des Westdeutschen Protonentherapiezentrums.

Herr Dr. Bäumer, die Protonentherapie gilt gemeinhin als besonders schonend für gesundes Gewebe und Organe. Warum?
Möglich wird dies dank der physikalischen Eigenschaften der Protonen; diese können auch tiefliegende Tumoren gut erreichen und lassen sich – anders als Photonen – bewusst in einer bestimmten Gewebetiefe stoppen. Erst dort entladen sie die meiste Energie („Bragg Peak“). Im Gewebe dahinter kommt so gut wie keine Strahlung mehr an; und auf dem Weg dorthin wird deutlich weniger Strahlung abgegeben, als dies etwa mit Photonen möglich wäre. Protonen wirken also zielgenau im Tumorgewebe.

In Ihrer Habilitation haben Sie sich auf das so genannte Nadelstrahlverfahren konzentriert – was ist darunter zu verstehen?
Der Protonenstrahl, der aus dem Zyklotron kommt, ist relativ schmal. Er hat etwa die Breite eines Bleistifts wie der englische Fachbegriff „Pencil Beam“ suggeriert. Um eine reale Tumorregion zum Beispiel 200 ml räumlich mit Dosis abzudecken, wird der Strahl mit elektronisch geschalteten Ablenkmagneten im Strahlerkopf in seitlicher Richtung abgelenkt in der Tiefe durch Energiemodulation in verschiedenen Schichten appliziert. Auf diese Weise „scannen“ wir mit dem Protonenstrahl die Tumorregion Schritt für Schritt mit der benötigten Dosis. Mit dieser Technik sind wir bei der räumlichen Optimierung der Dosisverteilung sehr flexibel; außerdem wird gerade bei komplexer Tumorgeometrie die Bestrahlungsplanung vereinfacht.


Pencil Beam Scanning
In diesem Video erläutert das Unternehmen IBA, das auch für die technische Versorgung des WPE verantwortlich zeichnet, die Vorgänge beim so genannten Nadelstrahlverfahren/Pencil Beam Scanning.


Ziel Ihrer Forschungsarbeit war die Optimierung dieser Methode. Was haben Sie genau untersucht?
Als das WPE im Jahr 2014 mit der klinischen Anwendung des Pencil Beam Scannings begann, gab es weltweit schon einige technische Pionieranlagen, in denen diese Methode klinisch begrenzt angewendet wurde. Wir wollten aber neben der klinischen Nutzung der damals etablierten Methode die Grenzen des Pencil Beam Scannings verschieben, also die Nutzung ausweiten und auch die Messmethoden und die technische Qualitätssicherung verbessern. Wir sind stolz darauf, dass wir das im Team erarbeiten konnten und wir uns mittlerweile in einer neuen Ära der technischen und klinischen Anwendung befinden!

Gab es denn noch weitere Verbesserungen?
Auch im Softwarebereich haben wir neue Techniken vor Ort umgesetzt und validiert – und auf diese Weise auch international einen hohen Maßstab gesetzt. Beispielsweise war das WPE die erste Einrichtung in Europa, die das Bestrahlungsplanungssystem RayStation für die Protonentherapie eingesetzt hat. Mittlerweile gilt RayStation als das beste Planungssystem für Protonen und wird von einer großen Zahl weiterer Protonenzentren genutzt. Diese von uns ausgearbeiteten Neuerungen haben wir in Fachjournalen publiziert. Ich war hier bei diesen Forschungs- und Entwicklungsarbeiten federführend beteiligt und habe schließlich die Ergebnisse in meiner Habilitationsschrift zusammengefasst.

Welche konkreten Vorteile haben die Patienten des WPE von diesen Entwicklungen?
Ausgehend von unseren medizinphysikalischen Forschungsarbeiten konnte das WPE die Patientenbehandlung mit der Pencil Beam Scanning-Technik auf Tumoren mit moderater Bewegung – wie zum Beispiel die Leber – ausdehnen. Da das zeitlich dynamische Abstrahlmuster im PBS-Modus zu Verzerrungen der Dosisverteilung führen könnte, wenn sich die bestrahlte Körperregion bewegt, mussten wir zusätzliche technische Maßnahmen ergreifen. Dies wurde im Rahmen von Master- und Doktorarbeiten und schließlich meiner Habilitation in den vergangenen Jahren umgesetzt.

Außerdem war das WPE das erste Protonenzentrum in Europa, das das Nadelstrahlverfahren in Kombination mit so genannten kollimierenden Aperturen klinisch angewendet hat – was vor allem dann von Vorteil ist, wenn sich Risikoorgane in der unmittelbaren Nähe der Tumorregion befinden. Die Aperturen blocken Risikoorgane effektiv vom Protonenstrahl aus und sorgen auf diese Weise für eine verbesserte Schonung des Normalgewebes.

 

PD Dr. rer. nat. Christian Bäumer ist seit 2009 Medizinphysik-Experte am WPE und seit 2014 Dozent an der TU Dortmund und der Hochschule Hamm-Lippstadt. Schwerpunkte seiner Forschungsarbeit sind die Erzeugung kleiner Protonenfelder, die experimentelle Untersuchung von Kernreaktionen bei Protonenbeschuss und die zeitaufgelöste Simulation von Protonenbestrahlungen. Er ist Mitglied des Deutschen Konsortiums für Translationale Krebsforschung am Standort Essen, der Fakultät Physik der TU Dortmund, der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Physik und der Deutschen Physikalischen Gesellschaft.