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Übersicht: AktuellesErstellt am: 16.11.2017

Präzision und größtmögliche Sicherheit: Die Qualitätsansprüche des WPE an die eigenen Therapiemöglichkeiten sind hoch. Und das gilt für jeden Bereich: angefangen bei der eigentlichen medizinischen Versorgung bis hin zur wissenschaftlichen Unterstützung durch die hauseigene Physik. Letztere erarbeitet dabei für viele Patienten entscheidende und aufwendige Hilfsmittel, die unmittelbar den individuellen Patientenbedürfnissen angepasst werden. In der Feinmechanik des Hauses entstehen etwa die für das so genannte Uniform Scanning (US) wichtigen Kollimatoren und Kompensatoren.

Protonen in der Strahlentherapie haben vor allem einen wichtigen Vorteil: Die aus Wasserstoffatomen gewonnenen Protonen lassen sich mit hoher Genauigkeit auf einen Tumor ausrichten – bei gleichzeitiger hervorragender Schonung des gesundes Gewebes außerhalb des Zielgebietes. Die Protonentherapie macht es damit möglich, auch hohe Strahlendosen außerordentlich genau zu applizieren. Je nach Tumorart und Lokalisation muss für jeden Patienten allerdings das passende Bestrahlungsverfahren gewählt werden. Beim so genannten Pencil Beam Scanning (PBS) etwa werden sowohl die Energie der Protonen als auch die Tiefenregulierung über das System selbst, die mit komplexen Magneten ausgestatte Gantry, exakt gesteuert. Das heißt: Im Rahmen der individuellen Therapieplanung wird durch Software-Steuerung vorgegeben, wie weit und mit welcher Dosis der Protonenstrahl ins Gewebe vordringt. Der Tumor wird dabei vom Protonenstrahl Schicht für Schicht und Millimeter für Millimeter bestrahlt – und das trotz tonnenschwerer Gantry mit einer Genauigkeit von bis zu 0,25 Grad.

Bestimmte Krebserkrankungen jedoch erfordern ein anderes Verfahren: Das so genannte Uniform Scanning (US) kommt insbesondere bei Tumoren in empfindlichen Körperregionen wie etwa dem Kopfbereich zum Einsatz. Hier können Tiefe und Verlauf des Protonenstrahls „manuell“ reguliert werden – und das nicht minder exakt als beim PBS. Xavier Vermeren, Leiter der Physik am WPE: „Beim Uniform Scanning kommen eigens angepasste Kollimatoren (auch: Aperturen) und Kompensatoren zum Einsatz.“ Hochpräzise Hilfsmittel, über die sich die Protonen gezielt seitlich und in die Tiefe lenken und sich empfindliche Strukturen im Umfeld des Tumors besonders effektiv schützen lassen. Vermeren: „Das US stellt durch die Aperturen sicher, dass Risikogewebe seitlich vom Zielgebiet geschont wird.“ Die Kollimatoren fungieren dabei wie eine „Kamerablende“: Die 2D-Schablonen aus Messing geben die Konturen des Tumors akkurat wieder; die Protonen passieren lediglich die vorgegebene Öffnung – alle weiteren Regionen werden durch die Messingplatte geschützt, die in diesem Fall eine ganz ähnliche Aufgabe übernimmt wie eine Bleischürze beim Röntgen. Die Kompensatoren aus Plexiglas wiederum geben ein Negativ-Abbild des Tumors in 3D wieder, über das die Tiefe der Strahlung akkurat gesteuert werden kann. Kurz: Am tiefsten Punkt des Modells hat die Strahlung die höchste Reichweite. Zusammen ergeben Kollimator und Kompensator ein so genanntes Feld. „Normalerweise arbeiten wir pro Patienten mit zwei bis drei Feldern aus unterschiedlichen Einstrahlwinkeln. Ist der Tumor jedoch schwer zu erreichen oder liegen wichtige Organe in der Nähe, werden auch schon einmal mehr Felder notwendig. Auf diese Weise ist die Dosis pro Feld geringer, und das kritische Gewebe wird besser geschont.“

Hergestellt werden die Kollimatoren und Kompensatoren des WPE in der hauseigenen Feinmechanik. Hier arbeiten seit 2013 Manuel Beck und Julian Kinne – beide wurden in der Werkstatt des Universitätsklinikums Essen als Industriemechaniker für Geräte- und Feinmechanik ausgebildet und haben eine Fortbildung als CNC-Bediener und -Programmierer absolviert. CNC steht für „Computerized Numerical Control“. Beck: „Wir arbeiten hier mit computergesteuerten Fräsen, also in der Regel nur noch dann manuell, wenn wir zum Beispiel die Rohlinge herstellen.“ Becks und Kinnes‘ Einsatz war bereits in der Testphase noch vor Eröffnung des WPE gefragt. Vermeren: „Damals waren wir auf der Suche nach Mitarbeitern, die uns bei der Erarbeitung optimaler Felder handwerklich unterstützen können.“ Eine Herausforderung für die beiden Feinmechaniker – in jeder Hinsicht. Beck: „Hätte mir früher jemand gesagt, dass ich mal in der Strahlentherapie arbeiten werde, hätte ich das wohl nicht geglaubt.“ Die Grundkenntnisse, ergänzt Julian Kinne, könne man lernen, die prinzipielle Programmierung der Geräte, die „Übersetzung“ der Daten aus dem Patientensystem in die Maschinensprache etwa. „Alles andere erarbeitet man sich im Alltag.“

„Alles andere“ – darunter fällt in erster Linie die Optimierung des Verfahrens hin zu größtmöglicher Präzision. Beginnend schon beim Material. Kinne: „Zu Anfang wurden Tests auch mit Edelstahl- oder Blei-Aperturen gemacht; es hat sich aber gezeigt, dass sich Messing am besten bearbeiten lässt.“ Das Ziel laute stets, „so genau wie irgend möglich zu arbeiten“. Abweichungen von 0,5 Millimetern wären laut Vermeren zwar akzeptabel. „Wir“, sagt Kinne, „liegen jedoch bei unter 0,1 Millimeter – und in diesem Bereich wollen wir auch bleiben“. Ein Anspruch, der vor allem über eine verbesserte technische Ausstattung und eine stete Optimierung der Werkzeuge erreicht wurde. Beck: „Wir haben beispielsweise die Schnittwerte der Maschine, sprich die Drehzahl und Vorschübe, verfeinert.“ Was nicht nur die Präzision der Abläufe, sondern auch die Schnelligkeit förderte. „Anfangs hat die Anfertigung eines Kompensators anderthalb Stunden, die einer Apertur 45 Minuten gedauert. Heute schaffen wir einen Kollimator in 15, einen Kompensator in 25 Minuten.“ Eine Zeitersparnis, die schlussendlich auch den Patienten des WPE zugutekommt. „Wir verarbeiten im Jahr etwa 40 Meter Plexiglasstange und rund drei Tonnen Messing und fertigen für fünf Patienten pro Woche durchschnittlich zweieinhalb Felder.“

Felder, die noch in der Feinmechanik einer strengen Qualitätssicherung unterzogen werden; scharfe Kanten etwa könnten die Validierung stören. Vermeren: „In solchen Fällen entscheiden wir in der Physikgruppenplanung, ob die Stücke eingesetzt werden können oder mit verbesserten Daten neu angefertigt werden müssen. In 98 bis 99 Prozent der Fälle ist beim ersten Durchgang jedoch bereits alles in Ordnung, und die Bestrahlung des Patienten kann – nach einer Probemessung – unmittelbar beginnen.“

Direkten Patientenkontakt haben Kinne und Beck in ihrer Werkstatt im Untergeschoss des WPE nicht. Und auch das beunruhigende Bewusstsein, dass mit den angefertigten Modellen eigentlich Krebstumoren abgebildet werden, habe mit den Jahren abgenommen. Kinne: „Am Anfang war ich mir nicht sicher, ob ich in einem Haus arbeiten kann, in dem mir täglich krebskranke Kinder begegnen; gerade weil ich selbst Kinder habe. Ein Feld für einen Vierjährigen mit einem Tumor im Kopf anzufertigen, hat mir zunächst schon zu schaffen gemacht. Das hat sich erst mit den Jahren gelegt.“ Geholfen, so Beck, habe dabei vor allem ein Gedanke: „Dass wir mit unserer Arbeit anderen helfen können. Und gerade deshalb wollen wir bei allem, was wir tun, so präzise wie irgend möglich sein.“