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Übersicht: AktuellesErstellt am: 28.03.2017

Prostatakrebs ist die häufigste Krebserkrankung des Mannes. Die bösartige Tumorerkrankung geht vom Drüsengewebe der Vorsteherdrüse, der Prostata, aus. Jedes Jahr werden etwa 67.000 Neuerkrankungen in Deutschland gezählt; drei von 100 Betroffenen sterben. Bei einem Prostatakarzinom stehen – abhängig von der individuellen Diagnose ­– im Prinzip unterschiedliche Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Neben einer Operation bestehen auch mit der modernen Strahlentherapie verschiedene Behandlungsmethoden. Eine besonders schonende Form der Strahlentherapie ist die Protonentherapie. Dr. med. Dirk Geismar, Oberarzt am WPE und Facharzt für Strahlentherapie, erläutert die Vorteile des Verfahrens.

Herr Dr. Geismar, welche Herausforderungen gehen bei der Strahlentherapie mit der Behandlung eines Prostatakarzinoms einher?

Heute weiß man einerseits, dass eine hohe Dosis die Heilungschancen beim Prostatakarzinom verbessert, aber andererseits auch die Gefahr für Nebenwirkungen erhöhen kann. Mittlerweile gibt es aus dem Bemühen heraus, die Therapie immer weiter zu optimieren, verschiedene Behandlungsmethoden. Neben der perkutanen Strahlentherapie mit Photonen, und der Brachytherapie, bei der die Strahlenquellen im Körper, direkt am Ort der Krebsgeschwulst appliziert werden, eben auch die Protonentherapie, wie wir sie hier am WPE praktizieren. Das Ziel ist eine möglichst zielgenaue Therapie, die eine präzise Bestrahlung des Tumorgebietes unter bestmöglicher Schonung der umliegenden Organe gestattet. Denn bei einem Prostatakarzinom muss man Folgendes bedenken: In der direkten Nachbarschaft der Prostata liegen zwei wichtige Organe, der Enddarm und die Blase. Zudem verläuft auch die Harnröhre durch die Vorsteherdrüse und wird daher zwangsläufig  mitbestrahlt. Und nicht zuletzt ist die Prostata ein Organ, das von Tag zu Tag etwas anders liegen kann.

Welche Probleme können auftreten, wenn diese Organe im Zuge der Therapie geschädigt werden?

Durch eine Strahlentherapie oder teilweise auch eine operative Verletzung kann es schlimmstenfalls zu Inkontinenz und Verlust der Erektionsfähigkeit kommen. Im Bereich des Enddarms können Entzündungen und Schädigung der Darmwand, die mit Blutungen einhergehen, auftreten. Auch Perforationen der Darmwand und deren dauerhafte Schädigung sind möglich, was dann wiederum operative Eingriffe notwendig machen oder auch  zum völligen Funktionsverlust führen kann. Ähnliches gilt auch für die Harnröhre und Blase. Das ist natürlich alles nicht die Regel, muss aber eben bedacht werden.

Welche Vorteile hat die Protonentherapie hier beispielsweise im Vergleich zur perkutanen Strahlentherapie?

Dosis-Eskalationsstudien haben sehr deutlich gezeigt, dass man bei einem Prostatakarzinom mit einer ziemlich hohen Strahlendosis eine hervorragende Heilungschance erreichen kann. Oder andersherum: Wir wissen heute, dass das Rückfallrisiko bei zu geringen Bestrahlungsdosen erhöht ist. Zugleich jedoch steigt jedoch bei hohen Behandlungsdosen auch die Gefahr von Nebenwirkungen. Die Protonentherapie bietet in diesem Zusammenhang eine gute Behandlungsalternative, da wir hier einen Strahl haben, der in der Tiefe stoppt. Wir sind also in der Lage, die Dosis genau in unser Behandlungsvolumen zu bringen – und das bei einer deutlich geringeren Belastung der Umgebung im Vergleich zur herkömmlichen Strahlentherapie mit Photonen. Bei gleichem Behandlungsergebnis hat die Protonentherapie vermutlich weniger Nebenwirkungen. Allerdings gibt es bislang keine vergleichenden Studien, die diesen Vorteil der Protonen auch wissenschaftlich nachweisen.

In welchem Stadium der Erkrankung kommt eine Protonenbehandlung idealerweise zum Einsatz?

Eine ganz wesentliche Voraussetzung für eine Protonentherapie ist das Vorliegen einer lokalisierten oder lokoregionären Erkrankung, die auf die Prostata und die unmittelbare Umgebung begrenzt ist; es sollte also keine Fernmetastasierungen vorliegen. Im Moment haben wir auch nur dann die Möglichkeit, eine Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankenkassen für Patienten zu erhalten. Vereinbart wurden folgende Kriterien für die Risikokonstellation eines Prostatakrazinoms: Einen Gleason-Score ab sieben oder/und einen PSA-Wert größer als zehn. Der PSA-Wert muss aber geringer sein als 50ng/ml. Der Gleason-Score bestimmt auf einer Skala von zwei bis zehn die Malignität, also die Bösartigkeit, des Prostatakarzinoms bestimmt; das Prostata-spezifische Antigen (PSA) wiederum kommt zwar auch bei gesunden Männern vor, eignet sich aber außerdem als Tumormarker.

Wie genau verläuft die Therapie?

Die Behandlung verläuft ambulant über bisher etwa sieben Wochen bei täglichen Bestrahlungen fünf Mal die Woche. Zukünftig werden wir die Zeit aber auf ca. 4 Wochen verkürzen. Nach einem ausführlichen Beratungsgespräch lokalisieren wir mithilfe eines Planungs-CT und eines Planungs-MRT zunächst das genaue Bestrahlungsgebiet sowie alle umliegenden Risikoorgane wie Blase, Enddarm und Hüftköpfe. Unsere Physiker errechnen dann aufgrund dieser Vorgaben die bestmögliche Anordnung der Bestrahlungsfelder sowie die Dosisverteilung. Die ermöglicht die optimale Bestrahlung des gewünschten Zielvolumens und eine möglichst geringe Dosisbelastung für das umliegende Gewebe. Aus der Dosisverteilung können wir die Risiken für etwaige Nebenwirkungen abschätzen; wir sehen also sofort, wenn irgendwo die Dosis zu hoch wird und können den Bestrahlungsplan gegebenenfalls weiter optimieren. Dieser Planungsprozess vom Planungs-CT bis zur ersten tatsächlichen Bestrahlung benötigt am WPE in der Regel etwa zwei Wochen.

Gibt es zusätzliche „Schutzmaßnahmen“?

Die Applikation so genannter Goldmarker, kleiner Goldspiralen, im Vorfeld der Behandlung gibt uns die Möglichkeit, unter Durchleuchtung immer genau zu sehen, wo die Prostata liegt. Wir können unsere Geräte also so einstellen dass der Strahl genau dorthin trifft, wo er hin soll. Zusätzlich fixiert ein so genannter Rektumballon während der Therapie die Lage des Darms und der Prostata. Für jeden Patienten fertigen wir zudem individuelle Lagerungskissen und thermoplastische Beckenmasken an, so dass er zur täglichen Bestrahlung stets gleich gelagert wird. Außerdem kann unseren Patienten zusätzlich ein spezielles Gel („Spacer“) zwischen Prostata und Enddarm angeboten werden. Auf diese Weise vergrößert sich der Abstand zwischen Prostata und Enddarm, was uns wiederum eine bessere Schonung möglich macht. Hier arbeiten wir eng mit der Urologie des Universitätsklinikums Essen (UKE) zusammen, welche die Applikation sowohl der Goldmarker als auch der Spacer vornimmt.


Das Westdeutsche Tumorzentrum (WTZ) am Universitätsklinikum Essen bildet als eines der führenden Onkologischen Spitzenzentren und eines der größten Tumorzentren Deutschlands die „Klammer“ um 14 hochspezialisierte Therapieoptionen für Krebserkrankungen unterschiedlicher Organsysteme. Im Prostatazentrum des WTZ legt ein interdisziplinär besetztes Team aus klinischen und wissenschaftlichen Mitarbeitern der Klinik für Urologie, der Inneren Klinik (Tumorforschung), der Klinik für Strahlentherapie,  der Klinik für Partikeltherapie/WPE, dem Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie und Neuroradiologie und dem Institut für Pathologie und Neuropathologie individuelle Therapiestrategien für Patienten mit urogenitalen Tumoren fest. Neben der Protonentherapie stehen beim Prostatakarzinom im lokalisierten Stadium als alternative kurative Therapiemaßnahmen etwa auch eine Operation, eine hochdosierte perkutane Strahlentherapie oder eine HDR-Brachytherapie zur Verfügung.

Seit dem 1. März 2017 wird die Klinik für Urologie durch Prof. Dr. Boris Hadaschik geleitet. Professor Hadaschik ist aus Heidelberg nach Essen gewechselt und hat bereits in Heidelberg Erfahrungen mit der Protonentherapie von Prostatakarzinomen sammeln können. „Ich freue mich auf die enge Zusammenarbeit mit dem WPE am Standort Essen. Zusammen mit unserer Expertise zu MRT-Fusionsbiopsien, PSMA-Hybridbildgebung und daVinci-Prostatektomien können wir auch in Essen das komplette Portfolio an Therapieoptionen für Männer mit Prostatatumoren anbieten. Diese Vielfalt ermöglicht uns eine optimale Auswahl der individuellen Therapie für den  Betroffenen und seine Erkrankung. Die bestmögliche Patientenversorgung hat hierbei oberste Priorität: Jeder Patient erhält im Prostatazentrum des WTZ die medizinisch und menschlich beste Beratung und Behandlung.“


Wie gestaltet sich die Kooperation mit dem UKE im Detail?

Alle Patienten werden im hiesigen urologischen Tumorboard diskutiert, zu dem alle beteiligten Disziplinen – Urologen, Onkologen, Pathologen, Radiologen und Strahlentherapeuten – zusammenkommen, um die möglichen  Therapieoptionen zu besprechen. Die Klinik für Partikeltherapie am WPE ist dort fester Bestandteil des Prostatazentrums am UK Essen. Man darf nicht vergessen: Prostatapatienten haben sehr viele Therapieoptionen, müssen sich nicht nur zwischen OP und Strahlentherapie entscheiden, sondern haben in beiden Bereichen jeweils auch noch einmal unterschiedliche Optionen. Die Therapieentscheidung ist also sehr individuell, abhängig vom Tumorstatus, aber auch vom Alter, Befinden und Wunsch des Patienten. Hier müssen wir für jeden Patienten zusammen mit allen Experten eine gute Empfehlung erarbeiten.

Das WPE hat 2013 die Arbeit aufgenommen; der erste Prostatapatient wurde im Januar 2014 behandelt, aktuell kommen Sie auf etwa 50 Patienten – gab es seitdem Veränderungen im Therapieablauf?

Wir haben in den vergangenen Jahren zunächst Behandlungskonzepte aus der herkömmlichen Strahlentherapie verwendet, die wir nun weiter optimieren. Wir beginnen ja beispielsweise jetzt eine Studie zur moderat hypofraktionierten Bestrahlung, um die Behandlungszeiten von derzeit sieben auf etwa vier Wochen und langfristig hoffentlich noch weiter verkürzen zu können. Wir verwenden darüber hinaus ein präzises Pencil-Beam-Verfahren, welches eine gezieltere Bestrahlung und integrierte Dosismodulationen ermöglicht.

Heute sind wir außerdem in der Lage, Patienten zu behandeln, bei denen der Lymphabfluss im Becken, z.B. bei befallenen Lymphknoten, mitbestrahlt werden muss; dafür haben wir eine sehr schonende Technik entwickelt. Tatsächlich optimieren wir unser Verfahren also kontinuierlich und zeichnen nicht zuletzt durch Registerstudien und die regelmäßige Nachsorge der Patienten alle wichtigen Therapiedaten auf, um auf diese Weise langfristig auch Aussagen über Nutzen und Vorteile der Protonentherapie machen zu können.

Dr. med. Dirk Geismar

Dr. Dirk Geismar ist Oberarzt und Facharzt für Strahlentherapie am WPE mit Fachkunde für Partikeltherapie.
Er studierte Medizin an der Universität Düsseldorf, absolvierte seine Facharztweiterbildung zum Facharzt für Strahlentherapie am Universitätsklinikum Göttingen und der Charité in Berlin. Im Rahmen seiner Tätigkeiten beschäftigte er sich insbesondere mit neuen hochpräzisen Strahlentherapie-Techniken (IMRT, Schädelradiochirurgie, stereotaktische Radiotherapie, Partikeltherapie). Seit 2008 begleitet er den Aufbau und die Inbetriebnahme  des Westdeutschen Protonentherapiezentrums Essen. Sein Arbeits- und Forschungsschwerpunkt liegt in der Behandlung von Hirntumoren, Prostatakrebs, pädiatrischen Tumorerkrankungen, sowie Knochen- und Weichteilsarkomen. Dr. Geismar ist Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO), der European Society for Radiotherapy & Oncology (ESTRO) und der Particle Therapy Co-Operative Group (PTCOG).