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Übersicht: Erstellt am: 24.11.2020

Einer der größten Vorteile der Protonentherapie ist die enorme Präzision, mit der die jeweilige Tumorregion millimetergenau bestrahlt wird. Genau diese Präzision stellt die Physik- und Medizin-Expertinnen und -Experten des WPE jedoch zugleich immer wieder vor Herausforderungen. Gemeinsam arbeiten sie deshalb konsequent an weiteren Optimierungen. Ihr Ziel: ideale Bestrahlungspläne, die möglichst jede noch so winzige Unsicherheit berücksichtigen. Ein hoher Qualitätsanspruch, den das WPE regelmäßig in externen Audits unter Beweis stellt. Als erstes Protonentherapiezentrum weltweit hat es jetzt zudem ein neues modulares Phantom getestet, über das sich die gesamte Behandlungskette am WPE dezidiert prüfen lässt. Im Interview erläutert Medizinphysik-Experte Dr. Jörg Wulff die Hintergründe und die tatsächlich außerordentlichen Ergebnisse des Phantom-Tests.


Interview mit dem Medizinphysik-Experten Dr. Jörg Wulff

Dr. Wulff, was ist ein Phantom und wofür wird es benötigt?
Zur Qualitätssicherung der komplexen Protonenbestrahlung benötigen wir eine Art Patientenmodell, mit dem wir Schritte der eigentlichen Behandlung simulieren können. Das sind häufig nur einfache, mit Wasser gefüllte Behälter, in die dann Sonden eingebracht werden, über die die applizierte Bestrahlungsdosis an verschiedenen Punkten gemessen werden können. Phantome können aber auch weitaus komplexer gestaltet und in ihrer Form und der Zusammensetzung, beispielsweise mit knochen- und weichteilgewebe-äquivalenten Materialien, dem menschlichen Körper nachempfunden sein. Wir setzen am WPE wiederum auch sehr technische Phantome mit klar definierten geometrischen Dimensionen ein, bei denen die korrekte Bildgebung und Patientenpositionierung regelmäßig überprüft wird. Das neue Gerät, das wir im August testen konnten, weitet diese Möglichkeiten noch einmal aus.

Was bedeutet das konkret?
Das Phantom wurde von den „Physikalisch Technischen Werkstätten“ (PTW Freiburg), einem der weltweit führenden Hersteller von Dosimetrie-Equipment, entwickelt und macht eine Prüfung der gesamten Behandlungskette möglich – von der initialen CT-Bildgebung über die Bestrahlungsplanung bis zur tatsächlichen Bestrahlung am Gerät. Es vereint also mehrere Aspekte der Qualitätssicherung in einem „End-to-End“-Test. Ein solcher Test ist vor allem dann wichtig, wenn neue Techniken eingeführt werden sollen, beispielsweise die stereotaktische Bestrahlung kleiner Tumoren mit Bildführung.

Dieses Phantom wird derzeit eigentlich bei verschiedenen Bestrahlungstechniken in der Photonentherapie, also der herkömmlichen Strahlentherapie, getestet…
Das ist richtig. Das WPE ist tatsächlich das erste Zentrum, das das Gerät und die dazugehörigen Detektoren bei der Bestrahlung mit Protonen evaluieren konnte. Das war sowohl für den Hersteller als auch für das WPE interessant. Wir konnten mit dem Phantom so eine weitere, vollkommen unabhängige, dosimetrische Prüfung der kompletten Behandlungskette am WPE durchführen.

Was genau haben Sie untersucht?
Das modulare Phantom erlaubt sowohl die Prüfung der Bildgebung bzw. Patientenpositionierung als auch die Simulation einer Behandlung durch Messung der applizierten Dosis an definierten Punkten. Diese Messung wird dabei mit der Vorhersage aus dem Planungssystem verglichen. Gezielt wurden sehr komplexe Bestrahlungsgeometrien mit Durchstrahlung von knöchernen und lungenähnlichen Materialien gewählt.

Wie lässt sich denn beispielsweise die Patientenlagerung überprüfen?
Genau wie bei der Patientenbehandlung wurde zunächst eine Computer-Tomographie (CT) des Phantoms erstellt. Die übereinstimmende Position auf dem Behandlungstisch wurde dann über Röntgenaufnahmen im Bestrahlungsraum verifiziert. Im Phantom befinden sich zum Beispiel knöcherne Strukturen, die sowohl im CT als auch in der Röntgenaufnahme sichtbar sind. Das Phantom erlaubt uns dabei allerdings einen Trick: Zunächst wird eine definierte Abweichung in der Position eingestellt, die durch die Positionsverifikation korrigiert werden muss. So ist eine sehr objektive Beurteilung im Bereich von Zehntel-Millimetern möglich.

Und wie sind Sie hinsichtlich der Dosis-Überprüfung vorgegangen?
Wir haben bewusst Bestrahlungspläne mit klinischen Vorgaben für besonders kleine Ziel-Volumen erstellt, bei denen die intensitätsmodulierte Pencil-Beam-Scanning-Methode zum Einsatz kam. Diese Kombination stellt hohe Ansprüche an die Genauigkeit der Dosis-Vorhersage aus dem Bestrahlungsplan-System und macht eine exakte Modellierung der Physik, beispielsweise durch Verwendung von Monte-Carlo-Algorithmen, notwendig. Weiterhin zeigt sich der Einfluss der vorher korrekten Positionierung und der exakten Strahl-Applikation. Mit anderen Worten: Es muss alles stimmen.

Und die Ergebnisse?
Sind wirklich außerordentlich: In jedem Schritt wurden hervorragende Ergebnisse erzielt. Wir konnten aufzeigen, dass die Behandlung am WPE mit höchster Präzision erfolgt – und das sogar bei extrem komplexer Geometrie. Tatsächlich lag die Übereinstimmung zwischen gemessener und vorhergesagter Dosis im Bereich von ein bis zwei Prozent. Dies ist die Größenordnung der überhaupt messbaren Abweichungen – und sie ist unmittelbar vergleichbar mit den Ergebnissen aus der Photonentherapie. Das bestätigt auch die Ergebnisse vorangegangener externer Audits, die am WPE durchgeführt wurden.

Der Test der Patientenpositionierung wiederum hat gezeigt, dass Abweichungen der geplanten Position von weit weniger als einem Millimeter und 0,2 Grad detektiert und entsprechend korrigiert werden können. Hier zeigt sich vor allem auch die beachtliche Erfahrung und Routine des Behandlungsteams: Ohne dass die MTRA-Kollegen das Phantom zuvor gesehen hatten, konnten sie definierte, für sie aber nicht bekannte Positions-Abweichungen inklusive Verkippungen schnell und sicher anhand der Röntgenaufnahmen erkennen. Das hat selbst den Hersteller erstaunt – und unterstreicht einmal mehr die exzeptionellen Qualitätsansprüche am WPE.

Erster Phantom-Test mit Ruby weltweit am WPE.